Lützschenaer Störche – schon wieder Pechvögel

Renate Näther kann es kaum fassen. Die rüstige Lützschenaerin beobachtet nun schon seit Jahren mit Hingabe das Geschehen um „ihren“ Storchenhorst hoch droben auf den Schornstein der Gärtnerei Gordelt. Einige ihrer Beobachtungen fanden Eingang in die Weißstorchdatenbank der Vogelwarte Hiddensee. „Unsere berühmte Französin ist verunglückt. Im Flug hängt das rechte Bein herab. Das Knie ist stark geschwollen. Und sie kann kaum stehen, sich nicht setzen. Da sind nun schon von den drei Jungvögeln des vergangenen Jahres noch in Lützschena zwei Tiere Flugunfällen zum Opfer gefallen und die diesjährige Brut durch die nasskalte Maiwitterung verloren – und dann auch noch das!“, so die Storchenbeobachterin sichtlich betroffen.

Auch in der Auwaldstation sind die Mitarbeiter ratlos. Manfred Seifert: „Das sieht alles nach einem kapitalen Beinbruch aus. Solange das Tier fliegen kann, können wir nichts machen. Der Storch erbeutet schreitend seine Nahrung. Wenn das nicht mehr möglich ist, schwinden irgendwann die Kräfte. Vielleicht können wir den Vogel in solch einem Ermattungszustand einfangen. Ich habe bereits die Tierklinik der Universität Leipzig informiert und „ein Bett reserviert“.

Wenn das Tier nicht überlebt, wäre das für Lützschena schon ein besonderer Verlust. Denn hier ist der Großvogel als „die Französin“ oder „Madame“ seit Jahren ein Begriff. Mit der Ringkennung P2352-PARIS hat die Störchin einen Hauch Champs-Elysées in die Elsteraue getragen. Seit über einem Jahrzehnt erfreut sie als Winterstorch auf den Elsterwiesen bei Modelwitz die Spaziergänger. Für manche ist ihre Fütterung – Fleischstückchen, Totküken – das eigentliche Ziel der Wanderung.

Madame schlüpfte 1994 und wurde im November 1995 im französischen Elsass beringt. 1998 tauchte sie in Modelwitz auf und brütete dort regelmäßig, seit 2009 in Lützschena. Bisher hat sie mit ihren wechselnden Partnern 19 gesunde Jungvögel in die weite Welt entlassen. Auch für Journalisten ist dieser auffällige Vogel ein begehrtes Objekt. Von BILD bis LVZ – fast 40 Artikel und Notizen sind im Laufe der Zeit über Madame erschienen. Im letzten Winter posierte sie im MDR-Fernsehen.

Madame steht im 16. Lebensalter und damit in der Spitzengruppe der Alterspyramide wildlebender Störche. Dazu der Leipziger Storchenguru Günter Erdmann: „Fast 50% der Störche überleben ihren ersten Geburtstag nicht. Flugunfälle beim Einfliegen in unserer verdrahteten Landschaft und natürlich die Strapazen des Vogelzuges fordern viele Opfer. Aber um diese Anstrengung hat sich Madame ja „gedrückt“. Behütet durch Menschenhand ist mir ein 29-jähriger Storch bekannt.“

Jeden Abend schaut Renate Näther sorgenvoll zum Schornstein: „Hat es Madame noch einmal in die luftige Höhe geschafft? Was macht die „Knulle“ am rechten Knie des Unglücksraben?“. In der Hoffnung, das Sie keinen Nachruf gelesen haben, bittet die Auwaldstation um Information, falls ein behinderter oder liegender Storch gefunden wird: Tel.: 0341-4621895.

Ulf Eisvogel