Silvesterrituale und ihre Opfer

Bild von Nico Sonnabend

Was hat ein überfahrener Igel mit unserem Silvesterfeuerwerk zu tun? Diese Verknüpfung erschließt sich uns nicht sofort. Wer am Neujahrsmorgen mit offenen Augen die Landstraße entlang fährt, wird dieses Phänomen jedoch beobachten können. So ging es auch mir Neujahr 2022. Warum lagen mitten im Winter überfahrene Igel am Straßenrand? Müssten diese nicht im Winterschlaf sein? Richtig, das war der Plan. Doch was macht man, wenn die Welt um einen herum zu explodieren scheint? Man ergreift die Flucht. So wie es den Igeln in dieser Nacht erging, ergeht es jedes Jahr unzähligen Wildtieren. Igel erwachen aus ihrem Energiesparmodus. Körpertemperatur und Herzschlagfrequenz werden stundenlang energieaufwendig hochgefahren. Reserven, die nicht wieder aufgebaut werden können. Manch Igel übersteht den Winterschlaf nur noch mit Ach und Krach oder bricht ihn frühzeitig ab, da seine Fettreserven völlig aufgebraucht sind. Sie sind die „Sorgenkinder“ des neuen Jahres.

Wir haben jedes Frühjahr dutzende Fundmeldungen von halb verhungerten Igeln. Die geschwächten Tiere sind in den folgenden Monaten besonders anfällig für Darmparasiten, Flöhe, Zecken und Fliegenmaden. Ein starker Befall führt ebenfalls zum qualvollen Tod.

Vögel prallen in der Silvesternacht panisch, geblendet und orientierungslos gegen Hindernisse oder weichen in bis zu 1000 Meter Höhe aus. Sie finden keinen Schlafplatz und fliegen bis zur Erschöpfung umher. Diese nächtliche Flucht kostet sie wertvolle Energie, die sie im Winter zum Überleben brauchen. Neujahr werden jedes Jahr tote Vögel und Tiere mit Verbrennungen, Schockzuständen, geschädigten Hörorganen, Schnabelbrüchen und anderen Verletzungen gefunden.

Jedem Feuerwerks-Liebhaber legen wir ans Herz, einmal den Neujahrstag in einer Wildvogelhilfe zu verbringen. Das Leid der Tiere mit eigenen Augen gesehen zu haben, hilft vielleicht, die Böllersehnsucht abzulegen.

Solange das Geknalle nicht verboten wird, müssen wir weiter aufklären, welche traurigen Folgen dieser kurze Spaß nach sich zieht.

Und nicht vergessen: was wir nach oben schicken, kommt auch wieder runter. Jährlich setzen wir rund 4.500 Tonnen Feinstaub durch das Abbrennen von Feuerwerkskörpern frei. All das atmen wir am Ende wieder ein, was eine massive Belastung der Atemwege sowie Atemwegserkrankungen und Herz-Kreislauf-Probleme nach sich ziehen kann. Jedes Jahr sterben weltweit 3,3 Millionen Menschen an den Folgen von Luftverschmutzung. Außerdem gelangt ein wahrer Chemiecocktail in unsere Umwelt und somit früher oder später in unser Grund- und Trinkwasser. Nicht zu vergessen das alljährliche Desaster am Tag danach. Müllberge soweit das Auge reicht. In Großstädten wie München entstehen so jedes Jahr zwischen 50 und 80 Tonnen Silvestermüll. Nicht überall kann die Stadtreinigung das Schlimmste verhindern. Unmengen an Plastik und Chemikalien gelangen so über die Flüsse ins Meer. Ist es das wert?

Das Team der Auwaldstation wünscht allen einen schönen Silvesterabend.