Wer die Saat hat, hat das Sagen – Artenvielfalt zurück in die Gärten

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Nach Schätzungen der Welternährungsorganisation (FAO) sind seit Beginn der Industrialisierung der Landwirtschaft weltweit bereits etwa 75% der Kulturpflanzensorten verloren gegangen. In Industriestaaten sind es sogar über 90 %. Damit gehen ständig gut an bestimmte Standorte angepasste, schädlingsresistente, robuste und meist besonders schmackhafte Sorten verloren.

Früher wurden Lebensmittel in kleinen landwirtschaftlichen Betrieben und Hausgärten angebaut. Jedes Jahr konnte man so nebenbei Saatgut für den Anbau in der nächsten Saison gewinnen. LandwirtInnen und HausgärtnerInnen entwickelten durch Auslese und Saatgutgewinnung samenfeste Sorten mit für sie günstigen Eigenschaften.
So entstanden über die Jahrhunderte optimal an die Bedingungen der Region angepasste Nutzpflanzen und eine riesige Auswahl an Sorten.

Mit der Industrialisierung der Landwirtschaft wurde die Pflanzenzüchtung und Herstellung von Saatgut an teils große Unternehmen abgegeben. Die drei Größten sind Chemiekonzerne, welche weltweit zwei Drittel des Saatgutes verkaufen. Sie entwickeln Saatgut, das an die Bedürfnisse der industriellen Landwirtschaft angepasst ist. Mit dem Ziel, höhere Erträge sowie gleichförmige und mit Maschinen zu erntende Früchte zu gewinnen, die sich gut lagern und transportieren lassen. Diese „grüne Revolution“ ist Fluch und Segen zugleich. Wir sind nicht mehr gezwungen, unser Obst und Gemüse selbst anzubauen. Die Supermarkt-Auslage scheint auf den ersten Blick reichlich gedeckt zu sein. Schaut man genauer hin, findet man aber kaum noch Sortenvielfalt. Im Gegenteil: LandwirtInnen kaufen Saatgut für sogenannte Hybridsorten, die schöne, große, haltbare Früchte hervorbringen. Diese Sorten lassen sich jedoch nicht aus gewonnenen Samen nachzüchten (sie sind nicht samenfest). Mit dem gekauften Saatgut erzielen sie eine Art Einweg-Ernte, bezahlen aber mit dem Verlust der Sortenvielfalt und mit der Abhängigkeit von großen Konzernen. Leider ist die Ernährung in Industrieländern heute weitgehend von großen Agrochemiekonzernen abhängig. Auch der Biomarkt wird von immer mehr Hybriden überschwemmt.

In unseren Gärten beginnt jetzt die Anzuchtzeit. Mit der Wahl des Saatgutes treffen wir eine klare Entscheidung für oder gegen den Erhalt der Vielfalt. Hobbygärtner finden auf Tauschbörsen oder bei Saatgut-RetterInnen wie VEN, Arche Noah und VERN ein umfassendes Angebot an alten Sorten. Über Anbieter wie diese kann samenfestes Saatgut („Mehrweg-Saatgut“) bestellt und damit die Vielfalt gefördert werden. Die Industrie schützt nur das, was sich vermarkten lässt. Mit Patenten und Sortenschutz sichern sich Konzerne die Nutzungsrechte. Um den Erhalt der Vielfalt dagegen müssen wir uns selbst kümmern. Mit unserer Sortenwahl können wir alle dafür kämpfen, dass Saatgut Kulturgut bleibt.